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Ich überarbeite gerade die Fragen für die diesjährige Zwischenprüfung - ein paar unlösbare Aufgabenstellungen zeigen doch erst, was in den Studenten WIRKLICH steckt - als plötzlich ein ungewohntes Verlangen in mir aufsteigt. Ich nehme die Finger von der Tastatur und überlege. Wieso möchte ich auf einmal aus heiterem Himmel den verschollen geglaubten Schlüssel zum Kaffeeraum zurückgeben? 
Als Wissenschaftler bin ich es gewohnt, meinen spontanen Regungen nicht sofort nachzugeben, sondern diese zunächst gründlichst zu analysieren. Also gehe ich stracks in die Bibliothek und bewaffne mich mit einschlägiger Literatur. Zwei Stunden später steht die Sache fest: 
Ganz zweifellos leide ich an einem akuten Anfall von galoppierenden Altruismus in Verbindung mit beginnender Saulus-Paulus-Neurose. 
Die meisten Autoren warnen vor der Möglichkeit, daß die Sache chronisch bzw. irreparabel wird! Bedauerlicherweise wird kein Gegenmittel genannt. Ich muß also improvisieren. 

Kurz darauf verläßt die Bibliothekarin den Raum, um mit ihren Kolleginnen im Sekretariat zu ratschen. Ich schnappe mir die fünf sorgfältig sortierten Karteikartenstapel auf ihren Schreibtisch und hebe jeweils die obersten zehn Karten ab. Den Rest mische ich gründlich durch - ich hätte als Croupier Karriere machen sollen! - und verteile sie wieder auf die fünf Stapel. Oberflächlich betrachtet, schaut noch alles ganz in Ordnung aus. Ich räume noch in zwei Regalen die Bücher um, so daß die 'Reden Platons' jetzt unter 'Tensormathematik' zu finden sind, und verteile meinen ausgelutschten Kaugummi gleichmäßig über die Lesesessel.


Jetzt fühle ich mich etwas besser. Ich kann sogar am Sekretariat vorbeigehen, ohne an den Kaffeeraum-Schlüssel zu denken. Um ganz sicher zu gehen, drehe ich auf dem Rückweg in mein Büro jede dritte Leuchtstoffröhre in ihrem Sockel um 90 Grad, so daß sie erlischt. Es ist immer wieder ein Vergnügen, unseren kleinen dicken Hausmeister zu beobachten, wenn er schwitzend wie ein Affe auf seiner Aluleiter hockt und einen Wutanfall nach dem anderen bekommt.


Zurück in meinem Büro rufe ich die Haustechnik an und mache den Leuten Dampf. Ich weiß sowieso, daß die um diese Zeit nichts tun als Kaffee zu trinken und die Abendzeitung von vorne bis hinten durchzulesen. Es sei ein Skandal, sage ich empört, hier oben müsse man sich im Dunkeln seinen Weg suchen. Ich knalle den Hörer auf die Gabel und wende mich wieder meiner eigentlichen Aufgabe heute zu. 
Die Prüfungsaufgaben brauchen noch den entscheidenden Touch. Ich füge noch folgenden Absatz ein:


"Wichtiger Hinweis:


Da sich einige Aufgaben auf die Lösung anderer Teile der Prüfung beziehen, empfehlen wir folgendes Vorgehen bei der Bearbeitung.
Lösen Sie zunächst Aufgabe 1 a und d, anschließend 4 e, f und a. 
Durch geschickte Kombination der Ergebnisse aus 4 a und 1 d sowie von 1 a und 4 f können Sie bei der anschließenden Lösung von Aufgabe 2 sofort mit Teil c beginnen. Vorteilhaft ist dann vor der Bearbeitung von 3 a, b und f die Aufgabe 1 b und c zu lösen. Die Ergebnisse letzterer werden zwar erst in 5 c benötigt, aber wegen der recht knapp bemessenen Prüfungszeit sollten Sie nicht unnötig oft die Aufgabenstellung wechseln. Lösen Sie nun die restlichen Aufgaben in beliebiger Reihenfolge. Beachten Sie aber, daß 3 c auf keinen Fall vor 6 a und 6 c idealerweise vor 4 a gelöst werden sollte.
Viel Erfolg!"
Ich drucke die Prüfungsblätter aus und schicke sie gleich in den Kopierladen, damit der Chef sie vor der Prüfung nicht mehr zu Gesicht bekommt. Der Chef ist da viel zu lasch; nur geforderte Studenten können zeigen, was sie können!


Inzwischen ist es spät geworden und ich schlendere hinüber in den Hörsaal. Dort warten bereits 30 Studenten seit einer halben Stunde auf mein Hauptseminar. Überlebensregel Nummer 14: Niemals pünktlich zu seinen Lehrveranstaltungen erscheinen. Dozenten, die pünktlich kommen, sind nicht WIRKLICH wichtige Leute. Das lernt jeder Student schon im ersten Semester. Während ich nach vorne zur Tafel gehe, spüre ich negative Schwingungen im Raum und höre gemurmelte Worte wie 'Zeitverschwendung' und 'immer zu spät'.
Ich drehe mich mit sorgenvoll gefurchter Stirne um und erkläre, daß ich gerade an den Aufgaben für die Zwischenprüfung arbeite. Die negativen Schwingungen lösen sich schlagartig in Wolken von Angstschweiß auf. 30 Augenpaare starren mich an, 30 Paar Ohren klappen sichtbar nach vorne, 30 zitternde Gestalten hängen an meinen Lippen.


"Ja, äh also... ich kann nur sagen ... ", sage ich leise.
30 studentische Oberkörper beugen sich so weit nach vorne wie möglich. 

"Äh...Sie sollten auf jeden Fall ...ach nein, ich sage jetzt lieber nichts. 
Das würde Sie nur bei Ihrer Vorbereitung stören. Außerdem ist dann die ganze Spannung weg."
Allgemeines Stöhnen. In der zweiten Reihe sinkt eine Studentin entseelt auf die Bank. Ich merke mir rasch die Studenten, die am lautesten stöhnen, um sie nachher rigoros aufzurufen.

Da ich keine Lust hatte mich vorzubereiten, werfe ich rasch einige Formeln auf die Tafel und murmele kaum hörbar etwas von 

". . . 
trigonometrisches Konvergenzkriterium unter Annahme der Retrokontraktibilität der angegliederten Tensormatrix mit Pi hoch Theta gegen Null..."
Die Studenten pinseln eifrig mit, ohne ein Wort zu verstehen, weil es da gar nix zu verstehen gibt. 

Als die Tafel halb voll ist drehe ich mich um und frage mit scharfer Stimme, ob noch jemand zu diesem trivialen Thema Fragen hat. 
Natürlich hat niemand. Dann rufe ich der Reihe nach die Störenfriede von vorhin auf. Keiner kann etwas dazu sagen. Als ich das Ende der Veranstaltung verkünde, ist die Hoffnungslosigkeit im Raum mit beiden Händen zu greifen. 


Es ist drei Uhr. Beschwingt schließe ich mein Büro heute etwas früher ab als sonst.


Auf dem Weg nach draußen begegnet mir der Chef. Er schaut mich an; ich schaue ihn an. Statt zu sagen, es sei noch etwas früh am Tage, wünscht er mir ein schönes Wochenende. 


Der Kurs in angewandter Hypnosetechnik letztes Semester
hat sich DOCH gelohnt!

 

Zu den weniger angenehmen Pflichten, denen sich auch ein BAFH nicht ganz entziehen kann, gehört die Korrektur von Diplomarbeiten. 
Gegenwärtig liegen drei dieser Dinger in verschieden ausgeprägten Stadien des natürlichen Zerfalls auf meinem überlasteten Schreibtisch. 
Ich nehme die unterste zur Hand und blase die Staubschicht weg, so daß ich den Titel lesen kann.

'Entwicklung eines Algorithmus zur phasensynchronisierten Re-Routing-Function innerhalb des dritten Layers des Iso-Schichten-Modells'
Ich verspüre einen vertrauten, leichten schmerzhaften Druck in der Stirn, genauer gesagt, in den kleinen Höckern etwas oberhalb der Schläfen. Warum kann ich nicht Diplomarbeiten mit wirklich WICHTIGEN und WISSENSCHAFTLICH INTERESSANTEN Themen betreuen? Zum Beispiel:
'Verführung mit Hilfe eines Data Gloves' oder 'Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Kreditkartenlesern'.
Ich quäle mich durch die Zusammenfassung, die - der Hölle sei Dank! - von der Prüfungsordnung vorgeschrieben und auf eine Seite beschränkt ist. Dann verteile ich quer Beet im ganzen Schinken etwa 100 unleserliche rote Schnörkel und grabe mich durch die Zusammenfassung am Ende. Nach dieser schier unmenschlichen Leistung schlage ich die Horoskopseite der Abendzeitung auf und übertrage das Tageshoroskop des Studenten als abschließende Beurteilung in roter Farbe auf die letzte Seite. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, daß die die Beurteilungen von Lehrern und Dozenten immer so unleserlich sind? Das liegt nicht etwa daran, daß diese so viel zu tun haben und deshalb schnell schreiben müssen. Nein, vielmehr soll der nichtssagende Kommentar durch die Unleserlichkeit in den mystischen Rahmen eines Orakelspruchs erhoben und damit so unfehlbar werden wie der Papst, wenn er vor der Kongregation unverständlich ins Mikrophon mümmelt.

Ich hole meinen schwarzen Würfel aus der Schublade und werfe eine 4. 
Na, gut, denke ich, geben wir ihm noch einen Bonus dafür, daß die Arbeit unter 100 Seiten hat.
Ich male sorgfältig eine große rote 3 auf die erste Seite und lege den Schinken seufzend zur Seite. Für die anderen beiden habe ich jetzt natürlich keine Energie mehr. Also beschränke ich mich auf das Abschreiben des Horoskops und den Würfel. Der letzte bekommt noch einen Malus, weil er einen angeberischen, roten Einband für sein Manuskript gewählt hat. 


Apropos Einband: ich bemerke, daß ich keine Büroklammern mehr habe, mit denen ich immer die Schlösser der Büros im ersten Stock verstopfe, wenn ich zur Cafete hinuntergehe. Also gehe ich ins Sekretariat und, da es wie üblich leer steht, bediene ich mich selber aus dem Büromaterialschrank der Sekretärinnen. Plötzlich krächzt es einmal leise aber deutlich hinter meinem Rücken und wie aus dem Nichts erscheint die neue Sekretärin. Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu und schließt, ohne ein Wort zu sagen, betont langsam den Materialschrank vor meiner Nase ab. Der Rabe in seinem messingfarbenem Käfig betrachtet mich hämisch, mit halb geöffneten Schnabel. 


Ich überlege einen Moment. Dann erkläre ich Frau Bezelmann und ihrem Raben, der interessiert den Kopf auf die Seite legt, was man mit einfachen Büroklammern alles machen kann. Die BSFH schaut mich einen Moment lang stumm an, dann verziehen sich ihre Mundwinkel noch eine Idee weiter nach unten und sie sperrt den Schrank wieder auf.


Als ich mit den Taschen voller Büroklammern zu meinem Büro zurückkomme, werde ich bereits sehnlichst erwartet. Ein Diplomand tritt vor meiner Türe aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Das umfangreiche Paket unter seinem Arm läßt mich Böses ahnen.


"Oh. Herr Leisch. Ich komme, um Ihnen meine Diplomarbeit zur Korrektur abzugeben", sprudelt es aufgeregt aus ihm heraus, noch bevor ich meine Tür aufsperren kann. 
"Sind Sie sicher, daß Sie sie jetzt schon abgeben wollen?" seufze ich. 
"Wollen Sie sich 's nicht nochmal anschauen?"
Der Student schüttelt heftig den Kopf. Einer von der selbstsicheren Sorte also. Einer, der vielleicht schon seine Karriere bis zur Vorstandsetage geplant hat. Hah!

"Ich bin mir ganz sicher, daß ich nichts mehr verbessern kann."
Sein Tonfall läßt keinen Zweifel, daß er es auch sonst keinem Menschen zutraut. Daß also mit der besten Note für sein epochemachendes Werk zu rechnen sei. Daß die Fachwelt aufhorchen wird, etc. pp.

Ich nehme ihm den dicken Packen Papier aus den zitternden Händen und sage freundlich:


"Dann kommen Sie doch erst mal herein und nehmen Sie Platz."
Er folgt mir aufgeregt plappernd in mein Allerheiligstes. Während er sich hinsetzt, gelingt es mir unbemerkt, das umfangreiche Manuskript gegen einen ähnlich großen Packen Kopierpapier auszutauschen.

"Na, dann wollen wir mal sehen", sage ich und lasse mich in meinen Sessel fallen.
Ich öffne die Mappe und schaue scheinbar verblüfft auf die leeren Seiten. Ich blättere kurz durch den Stapel und meine lächelnd:

""Haben Sie sich etwa den Nihilismus verschrieben, mein Bester? Oder glauben Sie, daß mich diese weißen Seiten dazu inspirieren sollen, Ihre tiefgründigen Gedanken per Telepathie zu erraten?"
"W-w-w-was?" blubbert er fassungslos.
Ich reiche ihm den Packen Kopierpapier herüber und er beginnt mit flatternden Händen die Papiere auf der Suche nach der Schrift durchzublättern.

"Aber... aber das verstehe ich nicht! Ich bin mir ganz sicher, daß ich... 
ich meine... das kann doch nicht sein..."
"Für alles gibt es eine wissenschaftliche Erklärung", sage ich streng und lege konzentriert die Fingerspitzen aufeinander. "Sie haben das Manuskript erst heute ausgedruckt?"
"Gestern", sagt er und schluckt mühsam. "160 Seiten, auf meinem Laserdrucker..."
"Aha, gestern sagen Sie? Ja, hören Sie denn kein Radio, mein Bester? 
Sagen Sie bloß, Sie haben nichts von den verlagerten Nordlichtern gehört, die letzte Nacht in Mitteleuropa gesichtet worden sind?"
"Äh..."
"Aber daß starke ionisierende Strahlung Pigmente zersetzen kann, wissen Sie ja wohl noch aus Ihren physikalischen Praktikum, nicht?"
"Äh, ja..."
"So wie eine Zeitung in der Sonne innerhalb kürzester Zeit ausbleicht, nicht wahr? Nur daß letzte Nacht die ionisierte Korpuskelstrahlung der Sonne mindesten 6 Größenordnungen stärker war als normales Sonnenlicht. Sicher ist es Ihnen nicht aufgefallen, weil Sie so mit Ihrer Arbeit beschäftigt waren, aber heute morgen sind keine Zeitungen ausgeliefert worden, weil sich die Druckerschwärze bei so starker Strahlung nur wenige Stunden halten würde. Das Verschwinden Ihres Textes ist also leicht erklärbar."
"Ah, ja", sagt er erleichtert. Wenn er wüßte, daß er soeben um zwei Notenstufen abgesackt ist!
"Aber was viel schlimmer ist", fahre ich fort, "die Korpuskelstrahlung wirkt sich auch negativ auf magnetisch stationäre Felder aus. Daher auch die Empfehlungen der Astrophysiker gestern, alle PCs mit absorbierenden Stahlplatten zu belegen. Ich hoffe sehr, Sie haben das beherzigt."
Ich beobachte, wie diese Information langsam in seinen vorderen Kortex einsickert. Schlagartig weicht alle Farbe aus seinem Gesicht.

"Sie meinen doch nicht..." flüstert er mit schwacher Stimme.
Plötzlich springt er auf und verläßt Hals über Kopf mein Büro.
Ich atme befreit auf. Wer hat gesagt, morgen ist auch noch ein Tag? Ich mache für heute Schluß und hänge meinen Schutzschild raus. Auf dem Weg nach draußen lasse ich das Manuskript unauffällig in den Reißwolf fallen. 

Leider, denke ich melancholisch, leider nur mit aufschiebender Wirkung.

 

Ich sitze in meinem Büro und warte zur Abwechslung mal darauf, daß das Telefon klingelt. Ich wünschte zwar, es würde das lassen, aber bis jetzt hat die Erfahrung gezeigt, daß solche Wünsche in den oberen Rängen meistens unberücksichtigt bleiben. 

Vor allem wenn sie von mir kommen.


Also habe ich beschlossen, heute den Spieß umzudrehen. Nach Murphy's Law klingelt ein Telefon mit höchster Wahrscheinlichkeit gerade dann, wenn man mitten in einer wichtigen Arbeit steckt oder gerade in der Badewanne sitzt. Das ist wie mit dem bekannten Milchtopf, der nicht kocht, solange man ihn bewacht. Folglich werde ich heute das Telefon bewachen, bis es wegen Nicht-Klingelns schwarz wird.


Keine drei Stunden später macht das Telefon alle meine Hoffnungen zunichte: Es läutet.


Ich lasse es dreimal läuten, dann hebe ich ab:


"Hallo?" sage ich. " Ich hätte gerne ein große Pizza Nummer 5 mit extra Champignons, eine kleine Salami und eine kleine Pepperoni."
"W... was?"
"Ist dort nicht die Pizza-Hotline?" frage ich.
"Nein, ich..."
"Dann habe ich mich wohl verwählt. Entschuldigen Sie bitte."
"Aber..."
Ich lege auf.

In diesem Moment trabt das Doggen-Monstrum vom Hausmeister an meiner offenen Bürotüre vorbei. Das ist die Gelegenheit. Mit meinem Lunch-Sandwich locke ich das strohdumme Vieh in mein Büro. Gleich darauf klingelt wieder das Telefon. Ich hebe ab, schalte auf Mithören und halte der Dogge den Hörer hin.


"Hallo?" klingt es aus dem Lautsprecher.
Er ist es wieder.

Die Dogge des Hausmeisters ist bekannt dafür, daß sie bei jeder Art von High Tech großes Unbehagen empfindet. Unbehagen äußert sich bei ihr in Form von lautem Winseln und Jaulen. 
(Dabei fällt mir gerade auf, daß die Dogge in dieser Hinsicht große Ähnlichkeit mit unseren ökologisch angehauchten Studentengruppen hat. Vielleicht sollte ich sie mal zu einer Studenten-Hauptversammlung mitbringen.) Der Dogge ist die körperlose Stimme aus den Telefonhörer schon High Tech zuviel. Sie beginnt zu winseln.


"Wer ist da? Hallo? Ich wollte Herrn Leisch..."
Das Winseln steigert sich zum herzzereißenden Fiepen.

"Ist da jemand?... Geht es... ich meine, fühlen Sie sich nicht wohl?... 
Hallo..."
Die Dogge des Hausmeister wirft den Kopf in den Nacken und beginnt laut zu heulen.

"UM GOTTES WILLEN! WAS PASSIERT DENN DA?! HÖRT MICH DENN KEINER?!"
Ich lege auf und entlasse die erleichterte Dogge in den Gang. Dann lenke ich meinen Anschluß auf die Nebenstelle der RKfH um.

Als ich von einem ausgedehnten Snack in der Cafete zurückkomme, steht der riesige Kübelstaubsauger der Putzfrau vor meiner Bürotür.


Das mißfällt mir. 


Erstens kann ich das veraltete Ding sowieso nicht ausstehen, weil sein mittelalterliches Geheule mir regelmäßig Alpträume während der Mittagspause verursacht. Hundertmal habe ich dem Chef schon vorgeschlagen, ein modernes schallgedämpftes Modell anzuschaffen, das dem High Tech Charakter unseres Lehrstuhls angemessen ist.
Zweitens blockiert es, so wie es dasteht, den Zugang in mein Büro.
Die Putzfrau selber ist natürlich nirgends zu sehen; wahrscheinlich schwatzt sie mal wieder ausgiebig mit Frau Bezelmann. Ich schnalle den verbeulten Deckel ab und entferne den Staubfilter vor dem Auslaßstutzen. Dann plaziere ich den Kübelstaubsauger gegenüber meiner offenen Bürotür, so daß ich ihn noch gut im Blickfeld habe.


Keine Stunde später höre ich den Chef seinen 14-Uhr-Rundgang beginnen. Während er den Gang herunterschreitet, unterhält er sich väterlich mit der Putzfrau. Der Chef gibt sich gern sozial gegenüber seinen subalternen Angestellten.


"Und... äh... wie befindet sich Ihre werte Familie?"
"Uh... wann der Klainä nua mal mecht bessa wean mit sain Aschtma, necht? Un da Mann nua necht sovill trinken mecht. Un denn es de Tantä noch laida gstorm..."
"Gut, gut, das freut mich aber...", sagt der Chef leutselig lächelnd.
Der Chef hat trotz ausgeprägten Sozialbewußtseins leichte Probleme mit der Sprache der Putzfrau. Das macht aber gar nichts, weil die Putzfrau die gleichen Probleme mit dem Chef hat.

Inzwischen sind sie beim Staubsauger angelangt, und die Putzfrau, die dem Chef zeigen möchte, wie ausgesprochen arbeitswütig sie heute wieder ist, setzt das heulende Ungetüm sofort in Gang. Durch den fehlenden Filter wird der staubige Inhalt des Kübels mit beträchtlicher Geschwindigkeit herausgepustet. Es entsteht eine Art Mini-Atompilz im Gang, der das Haupt des Chefs wie ein Glorienschein umwallt. Der Chef schnappt vor Schreck nach Luft und bekommt eine geballte Ladung Tschernobyl-Staub in die Lunge. 


Die Putzfrau findet vor Aufregung den Schalter nicht und rüttelt hektisch an dem heulenden Kübel herum. Das erweist sich als Fehler, weil sich nun auch die schwereren Teile in Bewegung setzen und ihren Weg in durch den Auslaßstutzen finden. Es schneit Papierschnitzel und Zigarettenstummel über den Chef, der sich mitten in einem krampfhaftem Hustenanfall befindet. Undefinierbare Metallstückchen schießen als bösartig surrende Querschläger durch den Gang und treffen beinahe Kollege O. und Marianne, die neugierig aus ihren Büros spähen. Endlich schafft es der Chef geistesgegenwärtig, sich in das Netzkabel zu verheddern und den Stecker aus der Wand zu ziehen. 
Wie ein auslaufendes Boeing-Triebwerk kommt der antike Kübelstaubsauger langsam zur Ruhe.


Die Putzfrau stotterte unzusammenhängendes Zeug; der Chef versucht krampfhaft, sein Soziallächeln aufrechtzuerhalten. Allerdings bröckelt es am linken Mundwinkel schon etwas.


Frau Bezelmann, die immer zur Stelle ist, wenn etwas Amüsantes außerhalb der üblichen Routine passiert, beginnt die Glatze des Chefs mit einem gelben Spüllappen abzustauben.
Der Blick des Chefs fällt auf mich. Einen winzigen Moment lang denke ich, daß er.. aber nein. Er sagt lediglich:


"Äh... Leisch. Ich glaube, wir könnten einen neuen Staubsauger gebrauchen, meinen Sie nicht?"

 

Ich mache meinen üblichen Rundgang durch die Labors und bemerke 3 (in Worten DREI) Workstations, die entgegen meiner ausdrücklichen Anordnung nicht am unterbrechungsfreien Stromkreis angeschlossen sind. Das verdrießt mich, weil ich (im Gegensatz zur Haustechnik) das normale Stromnetz nicht beeinflussen kann. Den unterbrechungsfreien Stromkreis schon, weil er von einer speziellen Überwachungselektronik kontrolliert wird, die zufälligerweise über eine serielle Schnittstelle mit meiner Sun gekoppelt ist.

Da ich nur ungern die Kontrolle aus der Hand gebe, beschließe ich, unseren unbotsmäßigen Mitarbeitern den Nutzen des unterbrechungsfreien Stromnetzes ein für alle mal deutlich zu machen. 
Ich öffne die Kaffeemaschine und schliesse die Heizwendel mit einem hauchdünnen Eisendrähtchen kurz. Das nächste Mal, wenn jemand die Kaffeemaschine ansteckt, fliegt natürlich die Sicherung und die unbotsmäßigen drei Workstations verenden wegen akuten Elektronenmangels. Und weil der Kurzschluß den dünnen Eisendraht vollständig verdampft, bleibt keinerlei Spur zurück. Das perfekte Verbrechen!


Kaum bin ich zurück in meinem Büro - ich durchsuche gerade die User-Mail nach interessanten Themen - klopft es zaghaft an meine Tür. 
Da ich pro forma noch Sprechstunde habe, hole ich das WW (Working Window) auf den Bildschirm und rufe: 

"Herein!"
Die Antwort ist ein Geräusch irgendwo zwischen Luftschutzsirene und Heulboje, das schlagartig um 30 dB zunimmt, als sich die Türe öffnet.

Im Türrahmen steht eine nicht unhübsche, aber mir unbekannte Studentin und lächelt mich entschuldigend-freundlich an. In ihren Armen, fest umklammert - wahrscheinlich damit es nicht entkommt - hält sie ein zuckendes Stoffbündel, in dem sich offenhörlich die Quelle des unnachahmlichen nervenzerreibenden Geräuschs befindet: ein ziemlich rotgesichtiges und ganz offensichtlich schlecht gelauntes Baby.



"Sie mag es nicht, wenn man sie aus ihrem Buggy hebt", ruft die Studentin mir erklärend über dem ohrenbetäubenden Lärm zu.
Ich kann sie kaum verstehen.
Beim Versuch, das wild um sich schlagende Baby in seinem Stoffbündel zu halten, dreht sie es zufällig so, daß sein Blick auf mich fällt. Zwei große dunkelblaue Augen starren mich an und - schlagartig verstummt der Lärm. Das Baby lacht plötzlich.

"Gott sei Dank", atmet die junge Mutter auf, "sie mag Sie. Wissen Sie, ich habe gleich ein Referat zu halten und ich kann sie schlecht mit in den Seminarraum nehmen. Daher habe ich gedacht, daß Sie... Sie sind ja sowieso während Ihrer Sprechstunde hier, und da dachte ich... 
Normalerweise bitte ich Frau Bezelmann, auf sie aufzupassen, aber ich kann sie gerade nicht finden... Sie heißt übrigens Pia. Es wird keine halbe Stunde dauern, das verspreche ich, vielleicht 40 Minuten, höchstens 50. Ich bin dann sofort wieder da. Am besten lassen Sie sie die ganze Zeit in ihrem Buggy sitzen, da fühlt sie sich wohl und..."
Während das alles aus dem Munde der Studentin hervorsprudelt, hat sie geschickt eine Art Kleinkinderwagen auf autonom lenkbaren Zwillingsreifen in mein Büro bugsiert und das blauäugige Baby namens Pia hineingeschnallt.

"... und ich bin sicher, daß sie ganz brav sein wird. Für den Notfall steckt hier hinten eine Flasche mit Tee - sie können es ihr ruhig ungewärmt geben - und an der Stange hier hängt ihr Dutsi, den verlangt sie manchmal, aber wundern Sie sich nicht, wenn sie ihn verkehrt herum hineinsteckt... Sie wissen ja gar nicht was Sie mir für einen Gefallen tun..."
Ich muß zugeben, daß ich das bis vor ein paar Sekunden wirklich nicht wußte.

"... das Referat ist sehr wichtig für mich; ich brauche unbedingt diesen Schein... Oh, mein Gott! Ich bin schon viel zu spät dran! Also bis gleich dann..."
"Aber...", sage ich - aber sie ist schon weg.
Ich starre die geschlossene Türe an. Das sollte eigentlich ein ruhiger Tag werden. Ich wollte in aller Ruhe die User-Mail durchschauen, in ein paar Personalakten herumstöbern und ein, zwei Beschwerdebriefe an die RKfH verfassen. Und jetzt dies!


Ich schaue das blauäugige Baby an. Es hat die ganze rechte Hand bis zum Unterarm in den Mund gesteckt und schaut mit seinen dunkelblauen Augen ernsthaft zurück.


"Pia?" sage ich versuchsweise.
Es lacht. Es lacht und antwortet etwas, was ungefähr wie 
"Gigjigjikaikaioooh!" klingt.
Aus dem Gesichtsausdruck schließe ich, das es etwas Fröhliches sein muß, ansonsten verstehe ich kein Wort. 

Was soll ich jetzt machen? Der 'Leitfaden für den Bastard X from Hell' hat für diesen Fall keine Eintragung vorgesehen.


Während ich nachdenke, hat sich das Baby - Pia, wie ich es in Geiste schon nenne - eine Meßstrippe geangelt und den Bananenstecker in den Mund gesteckt. Die rote Gummiisolierung scheint ihr zu schmecken, denn sie beginnt, die meterlange Strippe mit erstaunlichem Appetit in den großen Mund zu schieben.


Ich habe die vage Idee, daß das keine adäquate Beschäftigung für Damen in ihrem Alter ist, und gehe hinüber, um Pia die Strippe abzunehmen.
In diesem Moment läutet das Telefon. Mit der einen Hand hebe ich ab, mit der anderen ziehe ich vorsichtig am Ende der Meßstrippe.



"Ja?" sage ich.
Es ist die RKfH. Sie möchten bezüglich meines Beschwerdebriefes von vor 7 Monaten einige Fragen klären. Pia hat sich inzwischen in den Stecker verbissen und möchte ausprobieren, ob ich sie daran aus dem Kleinkinderwagen auf autonom lenkbaren Zwillingsreifen heben kann. 
Währenddessen verhandele ich über meine Spesenabrechnung von Honolulu. Aber ich bin nicht ganz bei der Sache, was auch der RKFH auffällt.

"Stimmt etwas nicht?" fragen sie irritiert.
"Nein, alles in Ordnung", versichere ich. "Moment... ah! Jetzt hab' ich dich..."
In diesem Moment verläßt der Bananenstecker mit deutlich vernehmbarem Ploppen den Babymund. Pia bedauert, daß das herrliche Spiel schon zu Ende ist, und schaltet ihre Luftschutzsirene ein.

"Hören Sie, wenn ich lieber später nochmal anrufen soll...", schlägt die RKFH vage vor.
Ich versichere schreiend, daß alles in Ordnung sei.

"Das sind die Handwerker auf dem Dach, verstehen Sie? Die machen einen Höllenlärm, wenn sie die Verkleidungsbleche aufsägen..."
Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, daß irgendein Handwerker so etwas zustandebringt, aber die RKFH akzeptiert die Erklärung. Trotzdem meinen sie, daß ich besser wieder anrufen solle, wenn sich der Lärm etwas gelegt hat.

Erleichtert ziehe ich den Stecker des Telefons aus der Wand. Dann denke ich scharf nach, wie das Problem zu lösen sei.
Nach dem Bundes-Immissionsschutz-Gesetz, Verordnung über Lärmschutz am Arbeitsplatz, darf man sich einem Lärmpegel von über 100 dB maximal 10 Minuten am Tag aussetzen.
Ich schätze, der Lärmpegel in meinem Büro beträgt in den Spitzen zur Zeit etwa 115 dB. Ich muß also schleunigst etwas unternehmen!


In der Werkstatt leihe ich mir ein paar Lärmschützer, genannt 'Rabbit Ears' aus und eile zurück zu meinem Büro. Vor der geschlossenen Türe steht Marianne und lauscht mit schiefgelegtem Kopf.


"Was ist das für ein infernalischer Krach, der da aus Ihrem Büro kommt? Hören Sie eine klingonische Oper?" fragt sie. "Das klingt ja fast wie..."
Ich erkläre hastig, daß die Lager in meiner Festplatte dringend geschmiert werden müssen, und frage, ob sie nicht schon längst Aufsicht im Mikroprozessor-Praktikum halten müsse.

Wieder im Büro schließe ich als erstes die Türe hinter mir ab. Wenn jemand erfährt, daß ich auf ein blauäugiges Studenten-Baby aufgepaßt habe, verliere ich meinen schlechten Ruf!


Mit den Rabbit Ears ist der Lärm unterhalb der Schmerzgrenze und ich kann weitere Schritte unternehmen. Was mache ich sonst, wenn ich bei einem Problem mit der Verwaltung nicht weiterkomme? Richtig! 
Erpressung oder Bestechung!


Da ich mit der Erpressung von Babies wenig Erfahrung habe, suche ich zunächst nach der Teeflasche für Notfälle. Nur anhand des Gummisaugers kann ich messerscharf schließen, daß es sich bei dem merkwürdig geformten durchsichtigen Objekt mit grell-rotem Inhalt um die Teeflasche handeln muß. In meiner Erinnerung sahen Babyflaschen ganz anders aus. Egal!
Ich zeige Pia die Teeflasche und erkläre ihr langsam und deutlich, daß sie sofort Tee bekomme, wenn sie mit dem infernalischen Lärm aufhöre. Keine Wirkung. Der Lärm geht weiter.


Vielleicht funktioniert das bei Babies anders als bei Verwaltungsangestellten, vielleicht muß man das Bestechungsgut zuerst aushändigen, bevor man die Ware erhält.
Ich halte Pia, die mittlererweile bläulich angelaufen ist, vorsichtig die Flasche in Reichweite. Ein perfekt gezielter Handkantenschlag befördert das Bestechungsgut auf meinen Schreibtisch. Dort prallt das zum Glück unzerbrechliche Ding an meinem Display ab.


Leider löst sich der Gummisauger und die grell-rote Flüssigkeit ergißt sich in mein Keyboard. Auf dem Display zuckt es und es erscheinen einige Seiten Hieroglyphen, bevor meine Workstation das Handtuch wirft und einen Notfall-Shutdown einleitet.


Als letzten Ausweg halte ich Pia ihr 'Dutzi' vors Gesicht. Sie greift danach, einige gewaltige Schluck-Schluchzer, die Sirene läuft langsam aus. Ich atme auf.


Ich beseitige gerade den teuflisch klebrigen Tee von meinem Schreibtisch, als es klopft.


"Äh... hrrm... Leisch? Sind Sie da... äh... drin?"
Der Chef! Ausgerechnet jetzt!
Ich öffne die Türe einen Spalt und schlüpfe hinaus.

"Ah... äh... was wollte ich noch... Ach, ja! Ich wollte Sie... hm... 
über den... den... Dings... den... äh... Stand im SCHWAFEL-Projekt fragen. Ist da noch... ähm... Geld übrig?"
"Ich hole schnell die Akte", sage ich und will wieder durch den Türspalt.
Der Chef schaut mich verwundert an.

"Ich... ich habe gerade Besuch", sage ich vage. 
der Chef nickt verstehend. In dem Moment, als ich die Türe offen habe, entscheidet Pia, daß ihr Dutzi an die Qualitäten einer Meßstrippe nicht herankommt und schaltet ihre Luftschutzsirene probeweise auf halbe Kraft. Der Chef reißt die Augen auf.

"Aber... aber das ist doch... das ist doch ein... Dings... ein... äh... 
Baby?"
Da es wenig Sinn hat, es weiter zu leugnen, öffne ich die Türe ganz und rolle den Kleinkinderwagen auf autonom lenkbaren Zwillingsreifen etwas hin und her, damit das Geheule auf einen erträglichen Pegel absinkt.

"Oh", sagt der Chef und bekommt den typischen großväterlichen Glanz in den Augen. "Ich wußte gar nicht, daß... daß Sie ein äh... Baby haben..."
"Das habe ich auch nicht", beeile ich mich zu versichern.
"Aber... aber das ist doch ein Baby."
"Ja, natürlich", gebe ich notgedrungen zu.
Zu allem Überfluß tauchen jetzt Kolleg O. und Marianne im Flur auf.

"Nein, wie süß!" ruft Marianne und späht dem Chef über die Schulter, der in die Hocke gegangen ist und etwas wie:
"... äh... heitetei.... hrrm... ähm... heiteiteitei... äh..." von sich gibt.
"Ich wußte ja gar nicht...", murmelt Kollege O. verblüfft und schüttelt mir aus irgendeinem Grunde krampfhaft die Hand. 
Wie sollte er auch. 
Ich wußte es ja bis vor ein paar Minuten auch nicht.

"Wie aus... äh... aus dem Gesicht... hrrm... Gesicht geschnitten..." 
kommt es vom Chef.
Ein fürchterlicher Verdacht steigt in mir auf.

"Wie heißt den der Kleine?" fragt Marianne.
"Die Kleine", sage ich erschöpft. "Sie heißt Pia."
Marianne beteuert, daß das ein ganz süßer Name sei für ein Baby. Drei Studentinnen gesellen sich zu der Versammlung in meinem Büro.

Während immer mehr Leute hereinströmen, versuche ich vergeblich zu erläutern, wie ich zu dem Baby gekommen bin. Komischerweise scheint niemand auf meine Worte zu achten.


"Ja, ja", sagen sie und haben nur Augen für Pia.
Pia hat inzwischen den halben Feueralarm eingestellt und schaut mit großen Augen in die vielen fremden Gesichter. Die Mundwinkel verziehen sich nach unten und sie beginnt zu weinen, was große Bestürzung unter den Anwesenden auslöst.
Marianne befreit sie aus dem Kleinkinderwagen auf autonom lenkbaren Zwillingsreifen und nimmt sie auf den Arm, was das Weinen noch mehr verstärkt. Ratlos blickt Marianne sich um und ihr Blick fällt auf mich.

"Nehmen Sie sie", sagt sie, " dann beruhigt sie sich sicher wieder."
"Das bezweifle ich", sage ich bitter eingedenk der vergangenen Stunde. 
Aber der soziale Druck der Versammlung ist zu groß: ich muß Pia auf den Arm nehmen.
Sofort packt sie mit erstaunlicher Kraft mein linkes Ohrläppchen und versucht es abzuschrauben. Gleichzeitig sabbert etwas Warmes in meinen Kragen. Pia gluckst fröhlich.
Alle Anwesenden lächeln gerührt und nicken sich bestätigend zu. Es ist ein Alptraum!

Als die Studentin eine Stunde später als angekündigt Pia abholen kommt, habe ich mich soweit wieder gefangen, daß ich sogar schon die versaute Tastatur auswechseln kann.


"War sie brav?" erkundigt sich die Mutter mehr bei Pia als bei mir.
"Wie ein Engel", erkläre ich sarkastisch und überblicke meinen versauten Schreibtisch.
Die junge Mutter bedankt sich enthusiastisch und steuert den Kleinkinderwagen auf autonom lenkbaren Zwillingsreifen zur Türe hinaus.

"Moment noch", rufe ich ihr nach. "Wenn Sie nochmal unbedingt einen Schein brauchen, dann sagen Sie es einfach, ok? Ich stelle Ihnen jeden, JEDEN Schein aus, den Sie möchten, klar?!"

 

Böööh!! Bööööh!!

Mein PAD (Professoren-Annäherungs-Detektor) schlägt an. Das ist schon das fünfte Mal heute! Normalerweise rennt der Chef nicht andauernd an meinem Büro vorbei. Es muß sich um jemand anderen handeln.
Ich schaue auf den Gang hinaus und sehe gerade noch den breiten Rücken unseres Dekans im Geschäftszimmer verschwinden. 


Wenn die Häuptlinge sich persönlich beim Chef zum Kriegsrat versammeln, ist irgendetwas im Busche. Ich versuche, Mikrophon und Soundblasterkarte im Rechner des Chefs zu aktivieren. Aber leider hat er den Rechner wieder einmal ausgeschaltet. 


Das Geräusch störe ihn, sagt der Chef immer entschuldigend, wenn ich ihn darauf hinweise, daß sein Rechner schon wieder nicht am Netz ist. 
"Dann bekommen Sie aber keine email", sage ich dann, "und außerdem wird der Rechner nicht ge-backuped."
"Schön... ähm... äh... ich wollte sagen: Schade... hmm..."
Und dabei bleibt es dann. Im Grunde habe ich den Verdacht, daß der Chef sowieso keine email beantworten will und deshalb den Rechner, sobald ich den Raum verlassen habe, wieder ausschaltet. Für mich ist das äußerst ärgerlich, weil dadurch das Zimmer des Chefs der einzige Raum am LEERstuhl ist, der praktisch abhörsicher ist.


Es klopft und Frau Bezelmann streckt ihren Kopf herein:
"Sie werden vom Chef verlangt", sagt sie genüßlich.


ALARMSTUFE GELB!


"Nur vom Chef?" frage ich vorsichtig.
Frau Bezelmann zieht ihre Mundwinkel nach unten. Ihre Augengläser blitzen gefährlich:
"Der Dekan und der halbe Fachbereichsrat sind auch da", erklärt sie bedeutungsvoll.


Auf dem Weg zum Geschäftszimmer gehe ich blitzschnell die Ereignisse der letzten Monate durch. Der abgeschleppte Wagen des Kanzlers? Die überflutete Tiefgarage? Die Explosion in Labor 3? Der Schneepflug der Hausmeister? Oder hat die RKfH etwa eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich angestrengt?


Kinkerlitzchen! Ich meine, immerhin hatten wir schon seit über einem Jahr keine Todesfälle mehr an unserem LEERstuhl...


Apropos! Vielleicht hat es ja tatsächlich etwas mit dem UPS- Lieferanten zu tun, der vor zwei Jahren in den zufällig nicht abgedeckten Hauptkabelschacht gefallen ist...


Vor der Türe zum Chefzimmer mobilisiere ich kurz meine Abwehrkräfte, dann klopfe ich und öffne die Türe.


"Ah... ja... ähm... da ist ja... äh... da kommt ja endlich... hmm... der Mann, auf den wir... hmm... kommen Sie.. äh... kommen Sie nur herein...Setzen Sie sich..."


Der Dekan, drei Professoren vom Fachbereich und natürlich der Chef sitzen auf Polstermöbeln hinter halbleeren Kaffeetassen und grinsen mir freundlich entgegen. Ein wahrhaft erschreckender Anblick!
Außerdem sitzt da noch eine nicht mehr ganz junge Dame mit strengen Gesichtszügen steif auf der Sofakante und betrachtet mich mit dem uninteressierten Blick eines gerade gefütterten Tigers.


"Die... äh... Herren Kollegen kennen Sie ja... ähm... Leisch. Und das hier ist... äh... Professor Icewater aus San Francisco, die Sie gerne... 
hmm.... kennenlernen möchte..."
Mrs. Icewater neigt den Kopf mit dem grauen Haarknoten ganz leicht in meine Richtung.
Ich durchforste fieberhaft mein Gedächtnis, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, ob der Name Icewater in letzter Zeit in der Mail vom Chef aufgetaucht ist. 


Unser Dekan, Professor Steinbrecher, lehnt sich in den ächzenden Sessel zurück und ergreift gewichtig das Wort:
"Professor Icewater hat kürzlich einen Lehrstuhl der University of California übernommen und, nun ja, nach ihrer eigenen Schilderung geht es dort ziemlich drunter und drüber. Hacker, unsichere Systeme, ein offenes Computernetz, Viren, Plattenabstürze - Sie verstehen?"


Ich beteuere mit dem Brustton des guten Gewissens, daß ich damit absolut nichts zu tun habe. Und weil es ausnahmweise sogar stimmt, klingt es richtig überzeugend.
Die Professoren schmunzeln.


Sind Sie schon mal fünf schmunzelnden Professoren gegenüber gesessen? Ich schalte auf ALARMSTUFE ROT!


"Aber natürlich nicht", fährt Professor Felsklauber von der virtuellen Fluidthermodynamik fort. "Professor Icewater ist hier, weil sie von unserem hervorragend organisierten Rechnernetz hier gehört hat. Sie möchte Sie gerne - vorausgesetzt natürlich, daß Sie einverstanden sind - für einige Zeit als Berater mit nach San Francisco nehmen. Was halten Sie davon?"


Ich starre in sechs erwartungsvollen Professorengesichter.
"Volles Auslandstagegeld und freie Dienstwohnung?"
Die Professoren schauen Mrs. Icewater an. Diese nickt.
"Ok", sage ich.
Der Chef atmet erleichtert auf...


Und damit endet das Buch 'Bastard Ass(istant) from Hell' (oder 'Das Jahr des Bastards' oder 'Bastard Assistent' oder wie auch immer der Verlag sich letztendlich entscheiden wird, das Machwerk zu taufen!).
Verpassen Sie nicht den zweiten Band 'Bastard Ass(istant) goes Overseas' - demnächst auf dieser Liste!