eMail: info@martinwindeler.de

My domain

Gästebuch (neu)

Gästebuch (alt)

Chat

Bastard               

Biere

CD's

Download   

Fußball

Links

Projects

Photos

Witze

Stories

Suche

Es sind Semesterferien. Die Studenten aalen sich ausnahmsweise nicht vor der Cafeteria in der Sonne, sondern in Griechenland oder in Thailand oder wo sich die heutigen Studenten sonst in der Sonne aalen.
Der Chef ist auf einer 'Vortragsreise' durch Südfrankreich; die meisten Kollegen nutzen die ruhigen Zeiten für intensive 'Heimarbeiten'.

Folglich ist mir langweilig. Nicht mal ein klitzekleines Virus im PC-Labor! Completo pantalon muerto! Zu deutsch: total tote Hose!

Ich browse gelangweilt durch die Weiten des Internets. Irgendwie stoße ich zufällig auf die Home Page eines Jazz Fanatikers in Albuquerque mit Hunderten - natürlich illegaler - Soundsamples. In der Seite über Chick Korea befindet sich - ich traue meinen Augen nicht - ein Link zur Scientology Sekte. Ich klicke mich gerade durch die einleitenden Seiten der Scientologen, als Frau Bezelmann anruft.

Ob ich Nero für eine Stunde bei mir im Büro beherbergen könne. Sie müsse zum Arzt.
Da ich sowieso nichts Besseres zu tun habe, erkläre ich mich bereit, den Monsterraben solange in meinem Zimmer zu dulden, vorausgesetzt, er ist sicher in seinem goldenen Käfig verwahrt.

Schließlich habe ich keine Vorurteile gegen kahle Raben mit gelben Augen, auch wenn sie - wie Nero - ein wenig nach Moder und Gruft müffeln.

Keine Minute später bringt Frau Bezelmann persönlich den Käfig herein. Ich stelle ihn meinem Schreibtisch gegenüber an die Wand, so dass Nero mir nicht über die Schulter schauen kann (man kann nie wissen), und sage zu Frau Bezelmann: "Na, dann viel Spaß im Fitnessstudio!" Ich weiß nämlich aus zuverlässiger Quelle, dass Frau Bezelmann seit neuestem Karate lernt. Frau Bezelmann presst nur verächtlich die schmalen Lippen zusammen und verschwindet mit laut klackenden Absätzen den Flur hinunter.

Ich schaue den Raben Nero an, und der Rabe Nero schaut mich an. Nachdem wir uns zwei Minuten lang ohne zu blinzeln angestarrt haben, bekomme ich ein leicht flaues Gefühl im Magen und wende gewaltsam meinen Blick von den kleinen gelben Augen mit den stecknadelgroßen Pupillen.

Auf dem Display ist immer noch die Begrüßungsseite der Scientology Sekte in Deutschland. Einer der Links verspricht ein 'umfassendes Psychogramm nach der Oxford-Methode'. Natürlich völlig unverbindlich und kostenfrei. Selbst ein blutiger Anfänger erkennt sofort, dass es sich um eine Bauernfängerei handelt. Ich klicke die Seite an und überfliege das Formular. Ziemlich läppisch. Die Intention der meisten Fragen ist sonnenklar. Fast noch primitiver als die Psychotests in den Fernsehzeitschriften. Ich will die Seite gerade verlassen, da fällt mein Blick auf Nero, der
immer noch aufmerksam jede meiner Bewegungen verfolgt. Ich rufe das Formular noch mal auf und beginne zu tippen:

Vorname: Nero
Nachname: Bezelmann
Telefon: (Nach kurzem Zögern gebe ich meine Büronummer ein)
Adresse: (Ich gebe die Adresse des Chefs ein; der ist sowieso auf Vortragsreise)
Alter: 26
Geschlecht: Männlich
Stand: Ledig

Jetzt beginnen die eigentlichen Fragen zum Psychogramm: Ich schildere Nero als einen ziemlich verklemmten jungen Mann, der seinen Eltern nie verzeihen wird, dass sie ihn nicht aufs Internat geschickt haben. Statt dessen haben sie ihn zum Nesthocker erzogen. Er raucht nicht, trinkt nicht, lacht selten und fällt nie jemandem spontan um den Hals. Er hat einen regelmäßigen Job (nach dem Einkommen wird nicht gefragt!), bekommt aber nicht die ihm zustehende Anerkennung. Er ist von einer weiblichen (sic!) Vorgesetzten abhängig, die ihn in seiner Karriere behindert. Darüber hinaus ist Nero fatalistisch, schaut seinem Gesprächspartner immer direkt in die Augen und hasst spontane Ausflüge oder Besuche. Außerdem fällt es ihm schwer, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Schließlich liebt er seine Arbeit, aber nicht seine Mitarbeiter. Er geht äußerst ungern aus dem Haus und würde niemals freiwillig in eine größere Wohnung umziehen.

Ich mache die Antworten so ehrlich wie möglich, und wo nicht möglich, runde ich die Sache ein wenig ab. Dann lese ich das Ganze Nero vor und frage ihn, ob er damit einverstanden sei. Nero hat inzwischen begonnen, die spärlichen Brustfedern zu putzen, und beachtet meine Frage mit keinem Blick. Statt dessen dreht er sich gemächlich auf seiner goldenen Stange um und lässt etwas fallen.

Ich füge unter der Rubrik 'Sonstiges' noch ein: 'Habe eine Glatze und ständige Verdauungsprobleme.' und schicke das Formular an den Rechner der Scientologen in Berlin.

Keine zwei Wochen später klingelt das Telefon, und da ich gerade guter Laune bin, hebe ich ab. "Hallo?" sage ich, während ich die Pizza in die andere Hand jongliere und die Cola zwischen PC-Monitor und Videorecorder festklemme. "Hier spricht Miriam von der Dianetik-Gruppe Berlin. Wer ist da, bitte?" sagt eine energische weibliche Stimme, etwa 35, dunkelhaarig, mit leichtem Ansatz zum Oberlippenbart und Kontaktlinsen (eine genauere Analyse wird erst möglich sein, wenn sich digitales Telefonieren mehr durchgesetzt hat. Es lebe das ISDN!).
"Hier bin ich", sage ich.
Im 'Ratgeber für effiziente Verhandlungen über das Telefon' steht ausdrücklich, dass man sich kurz und präzise ausdrücken und dem Gesprächspartner Gelegenheit zum Rückfragen geben solle. Das fördere den kommunikativen Prozess und führe zu beiderseitiger Befriedigung des angeborenen Bedürfnisses nach Anteilnahme und Feedback aus der Sprachgemeinschaft, oder so ähnlich.
"Und wer sind Sie?" fragt sie.
"Ich bin ich. Sie müssen doch wissen, wen Sie anrufen wollten."
"Sind Sie Herr Bezelmann? Nero Bezelmann?"
"Nein. Der ist gerade nicht in seinem Zimmer."
"Ah. Wie schade. Wann..."
"Ich glaube, er ist gerade mal wieder bei seinem Therapeuten."
"Therapeuten?" Die weibliche Stimme klingt auf einmal sehr interessiert.
"Ja. Wissen sie, Nero hält sich seit frühester Kindheit konsequent immer nur in geschlossenen Räumen auf. Er verlässt nie einen geschlossenen Raum. Deswegen ist er jetzt beim Therapeuten."
"Aber... wenn er zum Therapeuten geht, muss er doch auch aus dem Haus...", wendet die weibliche Stimme ein.
"Er nimmt das Auto", sage ich. "Alle Scheiben bis auf die Windschutzscheibe sind dunkel getönt."
"Aber... um zum Auto zu gehen, muss er doch auf die Strasse."
Der Logik dieser hartnäckigen Scientologen-Miriam ist nicht so leicht auszukommen.
"Schon mal was von Tiefgaragen gehört?"
"Ah..."
"Genau. Nero besucht nur Häuser, die er über die Tiefgarage befahren kann. Sein eigenes Haus hat natürlich auch eine. Bei uns arbeitet er nur, weil unsere Firma auch eine Tiefgarage hat."
Ich höre sogar durch die Leitung den Bleistift aufgeregt kritzeln. 
"Ähm... hören Sie, ich muss Nero unbedingt erreichen. Mein Name ist Miriam; ich bin von der Oxford Persönlichkeitsanalyse. Nero hat bei uns ein Profil angefordert und ich wollte noch ein paar Informationen von ihm...."
"Ich kann es ihm ja ausrichten", sage ich zweifelnd, "aber ich glaube kaum, daß er zurückruft."
"Äh... wieso?"
"Nero kommuniziert fast ausschließlich über das Internet; er hasst direkten Kontakt mit Menschen."
Auf der anderen Seite der Leitung sabbert etwas begeistert.
"Hören Sie, ich MUSS ihn UNBEDINGT sprechen. Ich bin sicher, dass wir ihm helfen können"
"Mhm. Ich gebe Ihnen mal seine Privatnummer..."
"AH! JA!"
Ich gebe ihr die Nummer vom Chef und sie legt auf.