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Es sind Semesterferien. Die Studenten aalen sich ausnahmsweise nicht vor
der Cafeteria in der Sonne, sondern in Griechenland oder in Thailand oder
wo sich die heutigen Studenten sonst in der Sonne aalen.
Der Chef ist auf einer 'Vortragsreise' durch Südfrankreich; die meisten
Kollegen nutzen die ruhigen Zeiten für intensive 'Heimarbeiten'.
Folglich ist mir langweilig. Nicht mal ein klitzekleines Virus im PC-Labor!
Completo pantalon muerto! Zu deutsch: total tote Hose!
Ich browse gelangweilt durch die Weiten des Internets. Irgendwie stoße ich
zufällig auf die Home Page eines Jazz Fanatikers in Albuquerque mit
Hunderten - natürlich illegaler - Soundsamples. In der Seite über Chick
Korea befindet sich - ich traue meinen Augen nicht - ein Link zur
Scientology Sekte. Ich klicke mich gerade durch die einleitenden Seiten der
Scientologen, als Frau Bezelmann anruft.
Ob ich Nero für eine Stunde bei mir im Büro beherbergen könne. Sie müsse
zum Arzt.
Da ich sowieso nichts Besseres zu tun habe, erkläre ich mich bereit, den
Monsterraben solange in meinem Zimmer zu dulden, vorausgesetzt, er ist
sicher in seinem goldenen Käfig verwahrt.
Schließlich habe ich keine Vorurteile gegen kahle Raben mit gelben Augen,
auch wenn sie - wie Nero - ein wenig nach Moder und Gruft müffeln.
Keine Minute später bringt Frau Bezelmann persönlich den Käfig herein. Ich
stelle ihn meinem Schreibtisch gegenüber an die Wand, so dass Nero mir nicht
über die Schulter schauen kann (man kann nie wissen), und sage zu Frau
Bezelmann:
"Na, dann viel Spaß im Fitnessstudio!"
Ich weiß nämlich aus zuverlässiger Quelle, dass Frau Bezelmann seit neuestem
Karate lernt.
Frau Bezelmann presst nur verächtlich die schmalen Lippen zusammen und
verschwindet mit laut klackenden Absätzen den Flur hinunter.
Ich schaue den Raben Nero an, und der Rabe Nero schaut mich an. Nachdem wir
uns zwei Minuten lang ohne zu blinzeln angestarrt haben, bekomme ich ein
leicht flaues Gefühl im Magen und wende gewaltsam meinen Blick von den
kleinen gelben Augen mit den stecknadelgroßen Pupillen.
Auf dem Display ist immer noch die Begrüßungsseite der Scientology Sekte in
Deutschland. Einer der Links verspricht ein 'umfassendes Psychogramm nach
der Oxford-Methode'. Natürlich völlig unverbindlich und kostenfrei. Selbst
ein blutiger Anfänger erkennt sofort, dass es sich um eine Bauernfängerei
handelt.
Ich klicke die Seite an und überfliege das Formular. Ziemlich läppisch. Die
Intention der meisten Fragen ist sonnenklar. Fast noch primitiver als die
Psychotests in den Fernsehzeitschriften.
Ich will die Seite gerade verlassen, da fällt mein Blick auf Nero, der
immer noch aufmerksam jede meiner Bewegungen verfolgt.
Ich rufe das Formular noch mal auf und beginne zu tippen:
Vorname: Nero
Nachname: Bezelmann
Telefon: (Nach kurzem Zögern gebe ich meine Büronummer ein)
Adresse: (Ich gebe die Adresse des Chefs ein; der ist sowieso auf Vortragsreise)
Alter: 26
Geschlecht: Männlich
Stand: Ledig
Jetzt beginnen die eigentlichen Fragen zum Psychogramm:
Ich schildere Nero als einen ziemlich verklemmten jungen Mann, der seinen
Eltern nie verzeihen wird, dass sie ihn nicht aufs Internat geschickt haben.
Statt dessen haben sie ihn zum Nesthocker erzogen. Er raucht nicht, trinkt
nicht, lacht selten und fällt nie jemandem spontan um den Hals. Er hat
einen regelmäßigen Job (nach dem Einkommen wird nicht gefragt!), bekommt
aber nicht die ihm zustehende Anerkennung. Er ist von einer weiblichen
(sic!) Vorgesetzten abhängig, die ihn in seiner Karriere behindert. Darüber
hinaus ist Nero fatalistisch, schaut seinem Gesprächspartner immer direkt
in die Augen und hasst spontane Ausflüge oder Besuche. Außerdem fällt es ihm
schwer, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Schließlich liebt er seine
Arbeit, aber nicht seine Mitarbeiter. Er geht äußerst ungern aus dem Haus
und würde niemals freiwillig in eine größere Wohnung umziehen.
Ich mache die Antworten so ehrlich wie möglich, und wo nicht möglich, runde
ich die Sache ein wenig ab. Dann lese ich das Ganze Nero vor und frage ihn,
ob er damit einverstanden sei.
Nero hat inzwischen begonnen, die spärlichen Brustfedern zu putzen, und
beachtet meine Frage mit keinem Blick. Statt dessen dreht er sich
gemächlich auf seiner goldenen Stange um und lässt etwas fallen.
Ich füge unter der Rubrik 'Sonstiges' noch ein: 'Habe eine Glatze und
ständige Verdauungsprobleme.' und schicke das Formular an den Rechner der
Scientologen in Berlin.
Keine zwei Wochen später klingelt das Telefon, und da ich gerade guter
Laune bin, hebe ich ab. "Hallo?" sage ich, während ich die Pizza in die andere Hand jongliere und
die Cola zwischen PC-Monitor und Videorecorder festklemme.
"Hier spricht Miriam von der Dianetik-Gruppe Berlin. Wer ist da, bitte?"
sagt eine energische weibliche Stimme, etwa 35, dunkelhaarig, mit leichtem
Ansatz zum Oberlippenbart und Kontaktlinsen (eine genauere Analyse wird
erst möglich sein, wenn sich digitales Telefonieren mehr durchgesetzt hat.
Es lebe das ISDN!).
"Hier bin ich", sage ich.
Im 'Ratgeber für effiziente Verhandlungen über das Telefon' steht
ausdrücklich, dass man sich kurz und präzise ausdrücken und dem
Gesprächspartner Gelegenheit zum Rückfragen geben solle. Das fördere den
kommunikativen Prozess und führe zu beiderseitiger Befriedigung des
angeborenen Bedürfnisses nach Anteilnahme und Feedback aus der
Sprachgemeinschaft, oder so ähnlich.
"Und wer sind Sie?" fragt sie.
"Ich bin ich. Sie müssen doch wissen, wen Sie anrufen wollten."
"Sind Sie Herr Bezelmann? Nero Bezelmann?"
"Nein. Der ist gerade nicht in seinem Zimmer."
"Ah. Wie schade. Wann..."
"Ich glaube, er ist gerade mal wieder bei seinem Therapeuten."
"Therapeuten?" Die weibliche Stimme klingt auf einmal sehr interessiert.
"Ja. Wissen sie, Nero hält sich seit frühester Kindheit konsequent immer
nur in geschlossenen Räumen auf. Er verlässt nie einen geschlossenen Raum.
Deswegen ist er jetzt beim Therapeuten."
"Aber... wenn er zum Therapeuten geht, muss er doch auch aus dem Haus...",
wendet die weibliche Stimme ein.
"Er nimmt das Auto", sage ich. "Alle Scheiben bis auf die Windschutzscheibe
sind dunkel getönt."
"Aber... um zum Auto zu gehen, muss er doch auf die Strasse."
Der Logik dieser hartnäckigen Scientologen-Miriam ist nicht so leicht
auszukommen.
"Schon mal was von Tiefgaragen gehört?"
"Ah..."
"Genau. Nero besucht nur Häuser, die er über die Tiefgarage befahren kann.
Sein eigenes Haus hat natürlich auch eine. Bei uns arbeitet er nur, weil
unsere Firma auch eine Tiefgarage hat."
Ich höre sogar durch die Leitung den Bleistift aufgeregt kritzeln.
"Ähm... hören Sie, ich muss Nero unbedingt erreichen. Mein Name ist Miriam;
ich bin von der Oxford Persönlichkeitsanalyse. Nero hat bei uns ein Profil
angefordert und ich wollte noch ein paar Informationen von ihm...."
"Ich kann es ihm ja ausrichten", sage ich zweifelnd, "aber ich glaube kaum,
daß er zurückruft."
"Äh... wieso?"
"Nero kommuniziert fast ausschließlich über das Internet; er hasst direkten
Kontakt mit Menschen."
Auf der anderen Seite der Leitung sabbert etwas begeistert.
"Hören Sie, ich MUSS ihn UNBEDINGT sprechen. Ich bin sicher, dass wir ihm
helfen können"
"Mhm. Ich gebe Ihnen mal seine Privatnummer..."
"AH! JA!"
Ich gebe ihr die Nummer vom Chef und sie legt auf.
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